„Alles ist nur Übergang“

Alles ist nur Übergang. 

Merke wohl die ernsten Worte: 

Von der Stunde, von dem Orte 

Treibt dich eingepflanzter Drang. 

Tod ist Leben, Sterben Pforte. 

Alles ist nur Übergang.

(Unbekannt)

Dieses Gedicht habe ich von einer Bekannten erhalten, als sie erfuhr, dass meine Eltern im vergangenen Jahr innerhalb von vier Monaten nacheinander verstorben sind. Das Jahr 2021 ist für mich persönlich ein sehr intensives Jahr – und das sowohl privat als auch beruflich. Ich bin zum einen als Kommunikations- und Prozessberaterin bei Veränderungsprozessen nachgefragt und voll ausgelastet. Zum anderen habe ich innerhalb von sieben Monaten die Menschen verloren, die mein Leben am stärksten geprägt haben: meine Eltern und das Ehepaar, das mit meinen Eltern über 60 Jahre befreundet war. Alle vier sind im kurzen Abstand nacheinander gestorben. Das macht etwas mit mir und ich stelle fest, ich durchlaufe die Trauerphasen, die in der einschlägigen Literatur näher beschrieben werden. 

Alles ist nur Übergang. Das trifft es sehr gut. Die Phasen des Trauerprozesses gehen ineinander über. So habe auch ich die anfängliche Phase des „Nicht-wahrhaben-Wollens“, die Phase der „aufbrechenden Emotionen“, die Phase des „Suchens und Sich-Trennens“ sowie die „Ausrichtungsphase des neuen Selbst- und Weltbezugs“ erlebt und erlebe sie noch immer.[1]

Ich stelle fest, wie sehr diese Phasen dem Krisenmodell von Elisabeth Kübler-Ross gleichen, das sich im Zuge von persönlichen und organisationalen Veränderungsprozessen bewährt hat[2]. Als Prozessberaterin erlebe ich diese Phasen auch von außen: 

1.) Verleugnen (Schock mit hin zu Einsamkeit, innere Konflikte, Schuldgefühle, Sinnlosigkeit)

2.) Zorn (Emotion)

3.) Verhandeln (mit hin zur allmählichen Erkenntnis der tatsächlichen Folgen)

4.) Vorbereitende Depression (mit Bewegung auf wachsendes Selbstbewusstsein und Kontakt zu anderen hin)

5.) Einwilligung (gesteigertes Selbstvertrauen)

Allein dieses Wissen darüber, schenkte mir immer wieder Zuversicht, weil ich weiß, dass es dazugehört. Es braucht die einzelnen Emotionen in den jeweiligen Phasen, um zur nächsten Phase übergehen zu können, um zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem der dicht aufeinanderfolgende Tod meiner Eltern und des Ehepaares, das über ein halbes Jahrhundert eng zur Familie dazu gehört hat. Ich war mittendrin in einer der oben genannten Phase und wurde überrollt von jeweils neu beginnenden Trauerprozessen. Manchmal fühlte ich mich wie im Schleudergang einer Waschmaschine. Es wird hier emotional alles durchlebt und durcheinandergewirbelt. Oft – auch durch die unterschiedlichen Trauerprozesse, die ich durchschreite – erlebte ich Phasen, die sich wie Wellen anfühlen: Ein Hoch und Tief in allen Facetten. Und so schreibt auch Verena Kast in ihrem Buch „Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses“: „Sehr eindrücklich wird das, wenn jemand einige Jahre nach einem ersten Verlust wieder einen Menschen verliert. Bei der Trauerarbeit vermengen sich dann die beiden Verluste. Bei jedem neuen Erlebnis von Tod scheint es, als würde man alle Menschen nochmals verlieren, die man je schon verloren hat. Allerdings hilft einem dann das Wissen, dass man schon einmal die Trauerarbeit durchgestanden hat. Man erinnert sich daran, wie es war, und ist möglicherweise nicht ganz so verzweifelt wie beim ersten Mal.“

In Bezug auf Veränderungsprozesse in Organisationen stelle ich beispielsweise fest, dass Mitarbeitende, die schon mehrere Veränderungsprozesse durchlaufen haben, offener mit Neuem beziehungsweise mit dem Change umgehen können. Parallel erlebe ich von außen auch immer die Phase des Festhaltens am Vertrauten und Bewährtem. Es braucht Mut, zum Beispiel den neuen IT-Prozess, bei dem auch andere Anforderungen an die Belegschaft gestellt werden, umzusetzen. Diese Phase braucht unter anderem eine gute Begleitung durch die Führungskräfte im Sinne von Zuhören, im Gespräch bleiben, Wertschätzung geben usw. . 

Kommen wir zu meiner persönlichen Lebenssituation zurück: Ich empfinde die Trauer in Summe auch als einen großen Prozess in meinem Leben; als einen Veränderungsprozess, der innerhalb eines Jahres existenzielle Fragen aufwirft, der schmerzt, in dem ich mir die verlorenen Menschen zeitweise zurückwünsche, weil ich mit ihnen Schönes, Erfahrenes, Trauer über die anderen, usw. teilen möchte. Das Teilen findet nun auf eine andere Art und Weise statt: in Gedanken, in Gefühlen, im Andenken, im Austausch mit anderen und in der Stille. 

Auch in diesem Prozess meines Lebens habe ich festgestellt, wie wichtig es ist, Gefühle so anzunehmen, wie sie sind. Bei vertrauten Personen offen darüber zu sprechen. Dabei sich diesen Gefühlen bewusst zu sein, sie zu spüren, sie zu akzeptieren, sie zuzulassen und zu würdigen. Das heißt, sie gänzlich zu integrieren. 

In Veränderungsprozessen bei Organisationen wird dieser Aspekt gerne aus den Augen verloren. Allzu oft fokussieren sich alle auf die Sachebene und Umsetzung der Prozessthemen. Meist kommt dann an einem bestimmten Punkt kurz vor der „Go-Live-Phase“ die emotionale Stimmung der Belegschaft nochmals auf. Hier kann viel Unruhe bei den betroffenen Mitarbeitenden herrschen. Deshalb ist es beispielsweise hilfreich, von Beginn eines Veränderungsprozesses an die Menschen auf der emotionalen Ebene gut mitzunehmen, indem eine Vertrauens- und Kommunikationskultur Schritt für Schritt etabliert wird, in der es auch üblich ist, über Emotionen zu sprechen. So hilft es beispielsweise, Besprechungen mit einem „Check in“ zu starten, bei dem alle kurz mitteilen, wie sie heute da sind und wie es ihnen geht. Dasselbe Spiel kann am Schluss des Termins erneut stattfinden: „Wie fand ich heute den Termin und wie geht es mir damit?“. Hilfreich sind auch „Sparrings“ oder Coachings mit Mitarbeitenden oder Führungskräften, in denen sie einer Vertrauensperson ihre emotionale Stimmungslage mitteilen und klären können. Oftmals hilft schon allein das „darüber sprechen“ und löst die emotionale Anspannung. Das ist elementar.

Kommen wir am Schluss nochmals zurück zu meinem persönlichen Trauer- bzw. Veränderungsprozess. Hier habe ich festgestellt: Wenn ich meine Trauergefühle doch verdrängt oder nicht zugelassen habe, weil ich beruflich zu viel gefordert war, kamen sie in Zeiten der Ruhe. Trauer um das, was war und nicht mehr wiederkommt, will ihren Raum haben und nimmt sich ihn auch. Gerade in solchen Momenten habe ich sie angenommen und durchlebt. Danach ging es mir wieder besser und ich spürte nach solch‘ sehr intensiven Momenten, dass der Übergang zu etwas Neuem entsteht. Die Pforte öffnet sich so langsam, auch bei mir, mit inspirierenden Ideen für meine Zukunft. 


[1] Verena Kast: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. 5. Auflage. Freiburg 2020. S. 65-88

[2] Friedrich Glasl, Trude Kalcher, Hannes Piber (Hrsg.): Professionelle Prozessberatung. Das Trigon-Modell der sieben OE-Prozesse. 3. Überarbeitete und ergänzte Auflage. Bern 2014. S. 226

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